Wie reden Sie denn mit mir?

Wann haben wir eigentlich den GUTEN TON abgeschafft?

vom 2. Februar 2025

Ein Gast – Beitrag von Simone Dietrich

Der Artikel als Audio

Wer lieber hört als liest bekommt hier Simones Text (etwas verschnupft, wie wir alle gerade) von ihr vorgelesen.

Wie reden Sie eigentlich mit mir
Wir haben ihn alle schon mal gesagt oder gedacht, diesen Satz:
WIE REDEN SIE EIGENTLICH MIT MIR…

Was mich zu der Frage bringt: wie möchten wir eigentlich, dass man mit uns redet? Wie möchten wir, dass man mit uns kommuniziert? Möchten wir als gleichberechtigter Kommunkationspartner ernst genommen werden?

Und das bezieht sich natürlich auf Wortwahl und Rhetorik, was wir aber vielleicht unterschätzen: es bezieht sich eben auch auf den KLANG!

Ich verbringe mein Berufsleben damit, auf subtilste Klangunterschiede zu hören (wenn ich z Bsp. jemandem wie Eddie Redmayne erkläre, wie er seiner ziemlich perfekten deutschen Aussprache in THE DAY OF THE JACKAL auch eine deutsche Sprachmelodie hinzufügen muss – übrigens genau der Teil, an dem im Moment die KI noch hakt, zum Glück – aber das ist ein Thema für einen anderen Tag).

Deshalb weiss ich: melody matters!

Ihr habt sie doch bestimmt auch gehabt, die Kindergärtner:Innen oder Lehrer:Innen, die uns so von oben herab behandelt haben, als hätten wir keine Ahnung weil: wir sind ja erst fünf und werden das erst später begreifen. Oder wir kennen die Kommunikation mit einem Gegenüber, in der wir merken, wir werden in eine Richtung gedrängt von jemandem, der glaubt, uns sagen zu müssen, worum es geht, weil wir Unwissende sind. Das kann manchmal sogar vermeintlich wohlwollend klingen – und trotzdem reagieren wir wahrscheinlich mit diffusem Unbehagen.

Holen wir uns diesen „Das verstehst du noch nicht“ – „Das weiß ich besser als du“-Tonfall ins Ohr und werden wir uns bewusst, was das mit uns macht! Es gibt sowas wie direkte kindliche Wut („don’t talk to me like a five year old“) und es gibt die Empörung des Erwachsenen, der als Gleichwertiges Gegenüber ernst genommen werden will.

Dieser überhebliche und/oder belehrende Tonfall begegnet uns – mal mehr, mal weniger subtil und manchmal vielleicht sogar in guter Absicht – im täglichen Leben, oft in Form von als Fürsorge getarnter Einflussnahme, die uns aber im Grunde herabsetzt. Darauf haben wir schon als Kinder nicht wirklich gestanden und als Erwachsene sollten wir es noch viel weniger hinnehmen.

Das funktioniert nicht nur rhetorisch, sondern auch akustisch

Auf Rhetorik lässt sich im Zweifelsfall bewusster reagieren, der Klang aber trifft uns unterschwelliger. Ich weiß, wie lange es gedauert hat, bis die deutsche Sprachmelodie beim JACKAL wirklich bewusst verankert war. Vielleicht müssen wir genau DA wach bleiben, unsere Sinne schärfen und hinterfragen:

WIE REDEN SIE EIGENTLICH MIT/ZU MIR

Das mal als Prolog.

Nun habe ich auf meinem Status neulich die Petition gepostet die auffordert, X so stoppen. Fairerweise muss ich sagen, ich war nie auf Twitter und bin auch nicht auf X unterwegs, mir ist nur die Einmischung dieses einschlägigen Fahrzeugfabrikanten auf allen Ebenen zu viel.

Ein alter Bekannter hat auf diesen Status reagiert mit der Bemerkung, nur auf X herrsche noch Meinungsfreiheit. Ohne Meinungsfreiheit sei keine Demokratie möglich und da bin ich ja dabei!
Weiter sagte er: wir dürfen uns nicht polarisieren lassen! Bingo, auch da waren wir uns absolut einig! Wir haben nicht mit- oder aufeinander geschimpft, obwohl wir wohl aus unterschiedlicheren Himmelsrichtungen nicht hätten kommen können.

Und das ist wichtig, denn: Wenn wir schimpfen oder einander herabsetzen, hört das konstruktive Reden auf! Und ob wir uns das leisten können – die Frage beantwortet sich gerade von selbst. Ich habe mich nach seinen Informationsquellen erkundigt, habe im Folgenden einem von ihm empfohlenem Schweizer Radiosender zugehört und mir – aus gegebenem Anlass – einen Beitrag zum Gespräch zwischen Musk und Weidel ausgesucht.

Was ich vom Schweizer Radio gelernt habe

Der Reporter wurde also zu dem erwähnten Gespräch befragt und hier ist sind ein paar der Sätze, auf die ich reagiert habe: „Es war tatsächlich eher eine harmlose Plauderei […]. Da haben sich zwei erwachsene, intelligente Menschen unterhalten, da war überhaupt nichts von diesen dystopischen Prognosen zu hören, wie es uns Medien im Vorfeld verkündet hatten, das jetzt schnell mal die westlichen Demokratien zerstört werden oder ähnliches.“

Mein persönlicher Untertext hier wäre: die Unterhaltung war ohne Brisanz, ganz harmlos, „die Medien“ (welche genau bleibt offen) verkünden den Untergang der Demokratie und ich bin dumm, wenn ich „den Medien“ (welche genau, bleibt offen) das glaube.

„Es war wirklich ein Austausch von Meinungen über die Lage der Nation in Deutschland. Für mich war das harmlos aber ich bin vielleicht ne andere Liga als die Leser und Hörer der traditionellen Medien.[…]“

Wenn wir uns vorstellen, wir unterhalten uns mit jemandem über nichts Geringeres als „die Lage der Nation“ und unser Gegenüber sagt zu uns: ich bin da vielleicht eine andere Liga als du“, was wäre unsere erste Reaktion? Rückzug, weil man mich nicht ernst nimmt? Ein Gefühl von Ausgeschlossenheit oder gar Minderwertigkeit, da ich dieser Liga (noch?) nicht zugehöre?

Und warum empfinden manche, die diesen Beitrag hören, keine nachvollziehbare Empörung darüber, dass sich jemand in seiner „Kenntnis der Dinge“ gnadenlos über mich stellt und mir somit Kompetenz und Urteilsvermögen abspricht?

Der Reporter dann weiter: „Ich hätte gern noch ein bisschen mehr von Deutschland gehört, umso mehr natürlich als ja die Idee von Elon Musk war, einem Publikum mal die Lage in Deutschland wirklich eins zu eins zu erklären von jemanden von der Basis und nicht weich gewaschen, gefiltert von irgendwelchen Medien, die sich so ne lauwarme Korrespondenten Stelle in Deutschland leisten. […]“

Es stellt sich die Frage, warum ein Amerikaner mir die Lage in Deutschland erklären muss. Von welcher „Basis“ hier die Rede ist, wäre wert zu wissen … und was eine „lauwarme Korrespondentenstelle“ ist, erläutert man mir auch nicht näher.

Was sich mir vor allem nicht erklärt, ist:

warum eine solche Art der öffentlichen Kommunikation auf fatal offene Ohren stößt.

Es funktioniert doppelt: es gibt den eigentlichen Wortlaut (deshalb hier all die direkten Zitate) und der wird von einem vermeintlich fürsorglich belehrenden Tonfall untermauert, auf den wir im täglichen Erwachsenenleben ganz anders reagieren würden… wir würden so mit uns nicht reden lassen wollen, von niemandem!

Ich habe meinem Bekannten gesagt: wir waren uns einig. Wir wollen nicht polarisieren und wir wollen auch nicht polarisiert werden. Und selbst wenn wir die eigentlichen Inhalte außen vor lassen – wie brisant sie auch immer seien – und uns jetzt mal auf den uns vertrauten Satz besinnen,

“ WIE REDEN SIE EIGENTLICH MIT MIR?“

dann können wir doch eins nicht leugnen:

Da ist er, der Tonfall der Oberlehrer:Innen und Besserwisser:Innen, die uns nicht ernst genug nehmen, um mit uns auf „Ohrenhöhe“ zu kommunizieren. In jeder normalen Lebenssituation würde uns das zu Recht auf die Palme bringen. Und allein dieser Ton erreicht sein

Ziel: ER POLARISIERT…

Das habe ich meinem Bekannten so getextet. Und auch wenn ich es uns beiden hoch anrechne, dass wir nicht „gestritten“ haben, gab es eine Bemerkung, die genau ins Schema passt und mich deshalb ein bisschen traurig gemacht hat:

„Vielleicht war das ein bisschen zuviel für den Anfang“

Eine durchaus ehrlich gemeinte Fürsorge die aber wieder impliziert: ich bin noch unwissend, gehöre nicht zum Club und werde vielleicht noch lernen, worum es geht.

Mein Urteilsvermögen und meine Kompetenz, Dinge anders zu betrachten und in Frage zu stellen werden auf ein unteres Niveau katapultiert, mit diesem einen Satz.

Die unbeantwortete Frage lautet: warum lassen wir das zu?

Warum reden wir so miteinander?

Vertrauen wir doch unserem Gehörsinn (und wir hören manche Sätze innerlich, auch wenn wir sie „nur“ lesen, richtig?), damit wir bemerken: nimmt man mich ernst oder lenkt man mich in eine Richtung?

Oder: wollen wir vielleicht gar nicht, dass man uns auf „Ohrenhöhe“ begegnet, weil uns dann die wahre Auseinandersetzung nicht abverlangt wird? Wollen wir alle den alten Onkel oder die schräge Tante, die gar nicht wirklich mit uns reden, sondern ihre Agenda vorantreiben, und uns dabei wie schlechte Lehrer:Innen in die Ecke schicken.

Leute, da waren wir schon.

Die Empörung der 5-Jährigen ist wichtiger denn je, denn mit 5, da waren wir noch „bei SINNEN!“

Als PS sei hinzugefügt: in Sachen „guter Ton“ macht man dem Jackal auf jeden Fall nichts vor!

Anmerkung von Anna

Simone Dietrich wird diesen September in meinem Speaker Retreat als Co-Trainerin dabei sein. Und ich freue mich wie wahnsinnig darauf von ihrer Expertise für Stimme und Sprache zu profitieren. Ihr tiefes Wissen dazu wie unsere Stimme intern und extern wirken kann, wird auch helfen eventuelle Blockaden zu lösen und deinen nächsten Schritt, in Richtung der ganz großen Bühne, zu gehen!

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